Vaterland verteidigt?

 Erzählung von Ferdinand Martin

 

Ei Gude, was mechst du denn hier? Wo willst ´n du hie? Sach bloß du musst aach nach Roth bei Nörrnberch?“ So schallte es mir im breitesten Frankforterisch entgegen als ich mich am 2. Januar 1962 – noch leicht verkatert von der Silvesterfeier – um 6.30 h auf dem Bahnsteig 5 des Frankfurter Hauptbahnhofes einfand.

Vater Staat hatte mich zu den Fahnen seiner sechs Jahre zuvor gegründeten Armee, oder genauer gesagt, zu seiner Luftwaffe gerufen.

Und genau hier, an diesem Bahnsteig an dem in Kürze der Sonderzug nach Roth bei Nürnberg bereitgestellt werden sollte, traf ich meinen alten Freund und Spielgefährten Bernd-Otto, kurz B.O. genannt, wieder.

Wir hatten uns nach der gemeinsamen Lehrzeit aus den Augen verloren, da wir uns nach der bestandenen Prüfung andere Arbeitsstellen in verschieden Firmen gesucht hatten. Auch musikalisch waren wir getrennte Wege gegangen und sollten uns erst Jahre später bei unserer gemeinsamen späten Liebe, dem Jazz wiedertreffen.

Aber nun stand er vor mir und sollte auch zum Luftwaffen-Ausbildungs-Regiment auf dem Fliegerhorst im fränkischen Roth.

Allerdings waren unsere Ausgangspositionen grundverschieden. Er wollte und ich sollte dort hin. B.O. hatte sich freiwillig für vier Jahre verpflichtet, bekam gleich zwei Streifen auf den Ärmel und begann seine militärische Laufbahn gleich als Obergefreiter. Ich dagegen war als Wehrpflichtiger für 18 Monate eingezogen worden, sollte einen blanken Uniformärmel haben und erhielt den „stolzen“ Dienstgrad Flieger – beim Herr bekannt als „Schütze Arsch“. Er sollte zum Funkfernschreiber ausgebildet werden, während meine Ausbildung zum Funkgerätemechaniker erfolgen sollte.

 

Wir wurden also bei der Ankunft in der Kaserne in verschiedene Staffeln eingeteilt, trafen uns aber regelmäßig abends in der Kantine, machten am Wochenende Roth oder Nürnberg unsicher und fuhren zweimal gemeinsam zum Wochenendurlaub nach Frankfurt. Am Ende des zweiten Aufenthaltes in Frankfurt verloren wir uns wieder einmal für Jahre aus den Augen.

Als ich mich am Sonntagnachmittag an unserem Treffpunkt im Frankfurter Hauptbahnhof zur Rückfahrt nach Roth einfand, war von B.O. keine Spur zu sehen. Ich wartete bis zur allerletzten Minute und sprang dann auf den schon abfahrenden Zug auf. B.O. war nicht erschienen. Erst zwei Wochen später erfuhr ich von seiner Großmutter dass er mit Pfeifferschem Drüsenfieber in der Uniklinik liege und auf Wochen keinen Besuch empfangen durfte. Er musste noch über zwei Monate in der Klinik bleiben und durfte auch weiterhin keinen Besuch empfangen. Danach wurde er von der Bundeswehr entlassen und verschwand ohne sich noch einmal zu melden. Ich dagegen verpflichtete mich schnell noch sechs Monate länger und konnte dadurch meinen kümmerlichen Wehrsold von 60 DM auf über 500 DM monatlich erhöhen. Denn diese paar Monate mehr machten den Kohl auch nicht fett.

 

In den frühen sechziger Jahren des letzten Jahrhunderts befand sich Europa noch mitten im „kalten Krieg“. Amerika, oder besser gesagt, die USA wurden von John F. Kennedy regiert und im Kreml in Moskau oder in der UNO-Vollversammlung trommelte Nikita Chruschtschow mit seinen Schuhen auf dem Tisch herum. Und in dieser aufgeheizten Atmosphäre fand unsere Grundausbildung zu „vollwertigen Menschen“, also Soldaten statt. Nachdem wir nach zwei Monaten Drill und Schleiferei vereidigt worden waren, stand auch bald die erste Wache – das heißt vierundzwanzig Stunden lang den Fliegerhorst zu bewachen – an. In der zweistündigen Wachbelehrung und dem schon seit Wochen ständig statt findenden „politischen Unterricht“ waren wir ständig darauf vorbereitet worden, dass das gesamte Land flächendeckend von sowjetischen und anderen kommunistischen Agenten überzogen sei. In jedem Auto mit zwei und mehr männlichen Insassen, dass in der Nähe des Fliegerhorstes gesehen wurde, vermutete man Spione der sowjetischen Militärmission.

So war es also nicht verwunderlich, dass mich ein mulmiges Gefühl beschlich als ich an einem bitterkalten Samstagnachmittag – nach Wachbelehrung und Vergatterung durch den OvD – mit elf anderen Rekruten vom Wachhabenden, einem Stabsunteroffizier und einem Gefreiten als dessen Stellvertreter zur Südwache geführt wurden.

Von dort aus begann dann auch um 18.00 h, gleich nach der Wachablösung, mein erster Streifengang in Richtung Osttor. Der Weg führte immer an der Innenseite des Zaunes entlang, der den ganzen Fliegerhorst einzäunte.Auf der anderen Seite des Trampelpfades, hinter einem schmalen Streifen Nadelwald, befanden sich Offiziersunterkünfte sowie Stabs- und Wirtschaftsgebäude und Munitionsbunker. Nach etwa vier Kilometer war der Punkt erreicht an dem ich nach einer Stunde auf den Streifenposten treffen musste, der mir von der Ostwache her entgegen kam. Nach einem kurzen Wortwechsel mit dem Austausch der Parole und etwas fluchen über die Schweinekälte trat ich den Rückweg an. Dort um 20 Uhr angekommen hatte ich vier Stunden bis Mitternacht frei, bevor es wieder auf die gleiche Tour ging.

Die erste Stunde der wach-freien Zeit benötigte ich erst einmal um mich wieder auftauen zu lassen. Schließlich hatte ich eine zweistündigen Spaziergang bei minus 18° und einem eisigen Ostwind hinter mir. Wie schon gesagt: damals hatte man noch richtige Sommer, aber auch echte Winter.

Dann wurde noch etwa eine Stunde gelesen oder sich unterhalten, denn erst ab 22.00 h durften die wach-freien Soldaten die Stiefel ausziehen, das Koppel ablegen und sich zum „ruhen“ auf eine der vorhandenen Pritschen legen.

 

Um zehn Minuten vor Mitternacht wurden wir drei, das heißt Streife Ost, Streife West und der Torposten geweckt. Wir machten uns kurz frisch und pünktlich um zwölf Uhr ging es wieder hinaus in frostklirrende Nacht.

Links und rechts des geräumten Streifenweges lag eine etwa sechzig Zentimeter hohe Schneedecke und der fast volle Mond sorgte zusammen mit den in etwa fünfzig Metern Abstand stehenden Laternen für ausreichende Sicht. Pünktlich um ein Uhr traf ich am Wendepunkt den Kameraden von der Ostwache. Diesmal nickten wir uns nur kurz zu bevor wir unseren Rückweg antraten.

Als ich etwa einen Kilometer auf diesem zurückgelegt hatte, sah ich plötzlich ungefähr zwanzig Meter vor mir eine Gestalt zwischen den Bäumen hervor treten. Ein eisiger Schreck durchfuhr mich. Ruckartig blieb ich stehen, nahm mit zitternden Fingern das Gewehr von meiner Schulter und rief mit einer – wie ich glaubte betont forscher Stimme:

Halt! Wer da?“

Gut Freund.“ antwortete die Gestalt, und kam dabei drei Schritte auf mich zu.

Halt! Sofort stehen bleiben oder ich schieße! Parole?“schrie ich, lud das Gewehr durch und entsicherte es.

Machen sie keinen Unsinn.“ erwiderte der fast zwei Meter große Hüne, der mit einer dunklen Hose, einem Bundeswehr-Parka und einer russischen Pelzmütze bekleidet war. „Ich bin Oberstleutnant Lehmann, der Fliegerhorst – Kommandant.“

Das kann jeder sagen.“ rief ich und fuchtelte nervös mit dem Gewehr in der Luft herum. „Parole?“

Die habe ich vergessen, wir hatten einen kleinen Umtrunk im Offizierskasino und sie wissen ja wie das so ist: Aber ich bin wirklich der Fliegerhorst-Kommandant. Ich kann ihnen ja meinen Ausweis zeigen.“ sagte er und machte wieder drei Schritte auf mich zu.

Nein, und sie bleiben jetzt sofort stehen oder ich schieße. Und ich bin ein guter Schütze!“ log ich und versuchte mir damit selbst Mut zu machen.

Und er blieb auch tatsächlich stehen und fragte mich herausfordernd: „Und was nun?“

Das war auch die Frage die ich mir selbst stellte. Was nun?

 

War er tatsächlich der Fliegerhorst-Kommandant und ich ließ ihn jetzt laufen kam ich vielleicht mit einem blauen Auge davon. Oder auch nicht, weil ich ihm einfach zu gutgläubig vertraut hatte. Aber wie sollte ich mich davon überzeugen, dass er die Wahrheit sagt? Wenn ich zu ihm hinginge und er ist in Wirklichkeit ein Spion könnte er mich überwältigen oder gar mir einer versteckt getragenen Pistole erschießen. Ist er es aber doch, könnte ich wiederum einen Anschiss wegen Unvorsichtigkeit bekommen.

Ist es aber in Wirklichkeit einer der gesuchten Spione und es gelingt mir ihn festzunehmen und zur Wache zu bringen war ich der große Held im Kampf gegen den Weltkommunismus.

 

Ich entschied mich für die letztere der Möglichkeiten.

 

Aber wie sollte ich das bewältigen? All zu nahe durfte ich nicht an ihn heran gehen, das war zu gefährlich. Außerdem hatte ich nichts dabei um ihn zu fesseln.

Also ging ich bis auf fünf Meter an ihn heran und forderte ihn auf:

Hände hoch und hinter den Kopf. Und vorwärts Marsch!“

Das musste ich wohl irgendwann einmal in einem Film, womöglich einem Western gesehen haben. Wie sollte ich sonst darauf gekommen sein?

Aber ich bin doch.....“ versuchte er ein letztes mal mich umzustimmen. Aber ein erneutes „Vorwärts Marsch!“ von mir unterbrach ihn und er setzte sich langsam in Bewegung.

Er ging betont langsam und nach etwa einer halben Stunde hatten wir gerade erst einmal einen Kilometer hinter uns gebracht. Bis zur Südwache lagen also noch zwei Kilometer vor uns und ein Blick auf meine Armbanduhr sagte mir, dass es schon 10 Minuten vor zwei war.Um zwei Uhr hätte ich zur Ablösung zurück sein müssen und ich wusste nicht was geschehen würde wenn ich zu spät kam. Es war ja schließlich meine erste Wache. Es sollte übrigens auch meine letzte in meiner restlichen Dienstzeit von zweiundzwanzig Monaten sein.

Weitere hundert Meter später versuchte mein Gefangener – wie ich glaubte – einen Fluchtversuch. Er machte plötzlich ein, zwei Schritte nach rechts und wollte zwischen den Bäumen verschwinden. Aber der hohe Schnee ließ ihn nicht schnell voran kommen, sodass ich ihn mit fünf schnellen Sätzen auf dem ausgetretenen Weg erreichte, ihm des Gewehr in den Rücken stieß und ihn anbrüllte:

Sofort zurück auf den Weg! Machen sie keinen Mist und versuchen sie das ja nicht noch einmal!“

Jetzt war ich hundert Prozent sicher dass ich einen feindlichen Agenten geschnappt hatte. Warum hätte er sonst flüchten sollen?

Diese Erkenntnis machte mich noch vorsichtiger als ich es schon war. Irgendwie musste ich verhindern dass er mir entkam. Aber wie?

Da kam mir eine, wie ich glaubte, geniale Idee. Als er wieder auf dem Weg stand trat ich schnell wieder drei Schritte zurück und befahl ihm:

Machen sie sofort den Gürtel aus ihrer Hose und werfen sie ihn weg. Und dann lassen sie ihre Hose langsam auf ihre Knöchel fallen.“

Aber ich habe gar keinen Gürtel an,“ stammelte er verblüfft. „ich trage nur Hosenträger.“

Dann machen sie die Hosenträger los! Und dann runter mit der Hose!“ schnautzte ich ihn an.

Nur zögernd leistete er der Anweisung Folge. Aber er tat es schließlich doch. Als sich die Hose langsam auf die Schuhe nieder senkte kamen darunter eine lange weiße Unterhose ein Paar graue Wollsocken zum Vorschein. Er musste jetzt entsetzlich frieren, denn wir hatten inzwischen wohl um die 20° minus. Aber da war er ja selbst dran schuld. Warum musste er sich auch eine so kalte Nacht zum spionieren aussuchen.

Als er soweit fertig war, befahl ich wieder:

Vorwärts Marsch! Und kein weiterer Fluchtversuch. Sonst schieße ich wirklich. Und ich schieße echt gut.“

Langsam, mit kleinen Trippelschritten setzte er sich in Bewegung und ich folgte ihm mit einem gebührenden Sicherheitsabstand. Natürlich kamen wir jetzt noch viel langsamer voran und es war schon beinahe drei Uhr, als ich aus gut fünfhundert Meter Entfernung freie Sicht auf das Wachgebäude des Südtores hatte. Vor dem Haus liefen der wachhabende Stabsunteroffizier, der Torposten und meine Ablösung aufgeregt hin und her und starrten in die Richtung aus der ich kommen musste.

Als sie uns gewahr wurden fuchtelten sie wie wild mit den Armen in der Luft herum. Da mir nichts besseres einfiel morste ich mit meiner Taschenlampe SOS. Was den Wachhabenden dazu veranlasste uns sofort den Torposten und meine Ablösung entgegen zu schicken. Als die beiden uns erreichten nahmen sie meinen Gefangenen sofort in die Mitte und eskortierten ihn zur Wache. Der Torposten, der ja auch seine erste Wache ging, hielt ihm dabei seine entsicherte Pistole in die Rippen.

Inzwischen waren wir bis auf ungefähr einhundert Meter an das Wachgebäude herangekommen und traten in den Bereich der von hohen Flutlichtmasten taghell erleuchtet wurden.

Und plötzlich geschah für mich etwas unfassbares. Der Wachhabende, der die ganze Zeit ungeduldig zu uns hergeschaut hatte, erstarrte plötzlich. Drehte sich dann auf dem Absatz herum und stürzte in die Wachstube. Von dort hörten wir ihn dann unvermittelt brüllen:

Wache raus treten!“

Innerhalb von knapp fünfzehn Sekundenwaren alle Wachsoldaten heraus gestürzt und stellten sich in Reihe auf. Und während ich mit offen stehendem Mund und dem Herz in der Hose wie versteinert stehen blieb, kommandierte er:

Wache still gestanden! Richt Euch! Augen geradeaus! Zur Meldung an den Fliegerhorst-Kommandanten, die Augen links!“

Er machte eine Kehrtwendung zu meinem „Gefangenen“ hin und meldete:

Herr Oberstleutnant, Stabsunteroffizier Bremer meldet..........“

 

Und mir wurde fürchterlich schlecht.

 

Ich wurde sofort von der Wache abgelöst und erhielt den Befehl mich am nächsten Morgen um zehn Uhr im Dienstanzug – das hieß mit Stahlhelm und voller Montur – beim Regimentskommandeur zu melden.

Ich weiß nicht mehr wie ich in meine Stube gekommen bin. Aber ich lag den Rest der Nacht wach auf meinem Bett und dachte darüber nach, was hier falsch gelaufen war.

Zum Frühstück ging ich erst gar nicht in die Kantine denn ich hätte ja doch keinen Bissen herunter bekommen. Da es Sonntagmorgen war fand auch weiter kein Dienstbetrieb statt. Aber um 9.00 Uhr erschienen mein Kompaniechef und der Kompaniefeldwebel - die man beide aus dem Wochenendurlaub geholt hatte – in meiner Stube und machten mich so richtig zur Sau. Zwischen sieben und vierzehn Tagen verschärfter Arrest prophezeiten sie mir. Und ich könne mich glücklich schätzen,dass ich nur den niedrigsten Dienstgrad hätte, sonst würde man mich auch noch degradieren.

Solchermaßen aufgebaut machte ich mich dann eine halbe Stunde vor der festgesetzten Zeit auf den Weg zum Regimentsgebäude vor dem etwa sechzig Offiziere aller Dienstgrade standen und mich neugierig musterten.

Wie ich später von meinem Zugführer, Leutnant Hermann, erfuhr, war der Fliegerhorst-Kommandant nach dem Vorfall noch einmal ins Offizierskasino zurück gekehrt und hatte den noch anwesenden Offizieren die erstaunliche Geschichte brühwarm erzählt. Dort hatte er auch meinem ebenfalls anwesenden Regimentskommandeur einen Ratschlag gegeben wie er den Fall des Flieger Martin behandeln könne.

Die Geschichte hatte sich in Windeseile in den Offizierskreisen herumgesprochen und so kam es, dass an diesem Sonntagmorgen die erstaunliche Anzahl von sechzig Offizieren zugegen waren. Manchen sah man sogar an wo und mit was sie die letzte Nacht verbracht hatten. Aber dafür hatte ich kein Auge.

Um Punkt zehn Uhr wurde ich dann, eskortiert von meinem Kompaniechef und dem Kompaniefeldwebel in den großen Raum geführt in dem sonst die Stabsbesprechungen stattfanden. Dabei kam ich mir noch kleiner und mieser vor als ich es ohnehin schon war.

Ich baute mich vor dem Regimentskommandeur auf, grüßte militärisch exakt und meldete vorschriftsmäßig mit etwas zittriger Stimme:

Flieger Martin meldet sich wie befohlen zur Stelle,“

Danke“ antwortete mein Gegenüber und fuhr mit einem kaum unterdrücktem Lächeln fort:

Flieger Martin, auf Vorschlag von Oberstleutnant Lehmann spreche ich ihnen hiermit eine Belobigung wegen vorbildlichem Verhalten im Wachdienst aus. Verbunden damit gewähre ich ihnen einen Sonderurlaub von drei Tagen. Stehen sie bequem.“

Einige der jüngeren Offiziere applaudierten sogar völlig unmilitärisch weil sie wohl noch einmal das Bild ihres Vorgesetzten mit herunter gelassenen Hosen durch die Nacht marschierend vor Augen hatten.

Auch der Regimentskommandeur konnte sich jetzt ein Schmunzeln nicht mehr verkneifen, als er fortfuhr:

Oberstleutnant Lehmann lässt sich entschuldigen. Er muss sich in der letzten Nacht irgendwie eine leichte Erkältung zugezogen haben. Außerdem bittet er um einen Vermerk in ihrer Stammrolle (Personalakte) dass sie in Zukunft von Wachdiensten aller Art befreit sind damit der Krankenstand der Offiziere in der deutschen Luftwaffe nicht zu hoch wird. Des weiteren hat er veranlasst dass die gesamte Wachmannschaft heute Abend in der Kantine ein Fünfzig-Literfaß Freibier erhält.“

Der abschließende Befehl: „Flieger Martin stillgestanden! Weggetreten!“ ging in einem großen Gelächter unter. Und ich fühlte mich von einer zentnerschweren Last befreit, ging schnurstracks in die Kantine und verputzte drei Portionen Leberkäse mit sechs Spiegeleiern und spülte das ganze mit drei großen Bieren hinunter.

Nachzutragen bleibt noch, dass es außer dem leicht erkälteten Oberstleutnant noch einen Leidtragenden gab. Der wachhabende Stabsunteroffizier Bremer erhielt einen „Strengen Verweis“ weil er sich über eine Stunde nicht um seine überfälligen Streifenposten gekümmert hat. Nach fünfzehn Minuten hätte er nach mir suchen lassen müssen.

Der Abend mit dem Freibier wurde auch noch ein gelungenes Fest, zu dem wir auch noch die anderen Stubenkameraden eingeladen hatten weil die anderen ja noch bis 18 Uhr auf der Wache gewesen waren und sich danach auch noch duschen und umziehen mussten. Da die Kantine aber schon um 21 Uhr schloss brauchten wir Unterstützung damit das Fass auch leer wurde.

 

Während meiner restlichen Zeit im Fliegerhorst Roth bin ich Oberstleutnant Lehmann nicht mehr begegnet.

Aber etwa ein Jahr später kam er – zwischenzeitlich zum General befördert – zu einer Inspektion unserer Funkerprobungsstelle am Königsstuhl bei Heidelberg. Der Zufall wollte es, dass ich an diesem Tag der „Diensthabende“ war. Und so oblag es mir als er mit seinem Tross von Begleitern den Raum betrat die Meldung zu machen:

Herr General, gefreiter Martin meldet: Funkerprobungsstelle Königsstuhl bei der Arbeit.“

Er stutzte kurz. Dann ging ein breites Grinsen über sein Gesicht als er sich an seine Begleiter wandte:

Meine Herren, normalerweise lasse ich nur vor Frauen meine Hose runter, und das nur freiwillig. Vor ihnen steht der einzige Mann vor dem ich es je getan habe. Aber das nur unter der Androhung von Waffengewalt.“

Und noch einmal gab es wegen dieser Geschichte einen netten Abend. Denn er lud mich und die fünf Leute meiner Arbeitsgruppe zum Abendessen ins nahe Hotel Alter Kohlhof in der er übernachtete ein. Es wurde viel über diese und andere Geschichten gelacht.

 

Ferdinand Martin