Die Pudelmütze oder Sprachverwirrungen

Meine Enkeltochter mit meiner Original-Pudelmütze
Meine Enkeltochter mit meiner Original-Pudelmütze

 

Sprachverwirrungen führen nicht nur in der heutigen Zeit zu Missverständnissen zwischen Menschen sondern sind schon seit ewigen Zeiten Garanten für Unfrieden und sogar Kriege.


Schon in der Bibel wird mit der Geschichte vom Turmbau zu Babel darüber berichtet. Dabei muss es sich noch nicht einmal um fremde Sprachen handeln wenn es zu solchen Ereignissen kommt.


Es genügt manchmal sogar wenn es in der eigenen Sprache um verschiedene Deutungsweisen oder Dialekte geht. Zum Glück führte es in diesem Fall nicht zu größeren Zerwürfnissen sondern konnte zum Schluss friedlich beigelegt werden.


In Frankfurt am Main - meiner ursprünglichen Heimatstadt - kennt jedes Kind das Kinderdorf Wegscheide, ein Schullandheim der Stadt, in das jedes Kind das in Frankfurt zur Schule geht einmal in seinem Schülerleben für drei Wochen zum "naturnahen Unterricht" fährt.


Früher, das heißt zu meiner Schulzeit, fuhren wir im achten oder neunten Schuljahr im Alter von vierzehn oder fünfzehn Jahren in das idyllisch bei Bad Orb im Spessart gelegene Schuldorf.


Heute, wo die Kinder viel früher die Freuden der Sexualität entdecken, schickt man sie - wohl aus Angst vor einer ungewollten Bevölkerungsexplosion - schon mit zehn Jahren dort hin.


Aber eine Sache ist noch heute eine Tradition, die schon unsere Eltern dort pflegten. Die Mädchen haben immer diverse Wollreste von zuhause mitgebracht, aus denen sie "Bommeln", wie sie auf hessisch heißen, herstellen.

Bommeln, das sind diese runden , bunten oder einfarbigen Wollkugeln die man früher am Ende von Schnüren an Kinderkleidung hatte und aber vor allen Dingen die Krönung einer jeden Pudelmütze sind.

Die auf der Wegscheide von den Mädchen angefertigten Bommeln wurden je nach Sympathie an die mitgereisten Jungs verschenkt, die sie voller Stolz zu einer Traube gebunden am Gürtel trugen. Ähnlich wie man glaubte, dass die Indianer so ihre eroberten Skalps trugen.

Die Mädchen bekamen dafür kleine Herzen oder Figuren die die Jungs aus dem dort gefundene Weichen "Kakaostein" geschnitzt hatten.

An der Anzahl der Trophäen die man trug, konnte die Beliebtheit des einzelnen bei der Damenwelt abgelesen werden.


Wenn ich mich recht erinnere, hatte ich mich mit etwa zwölf oder dreizehn Stück wohl irgendwo in der Mitte der nach oben offenen Beliebtheitsskala angesiedelt. Wobei ich offen zugeben muss, dass ich ebenso wie die meisten meiner Klassenkameraden etwas geschummelt habe und zwei oder drei der Bommeln selbst hergestellt habe. Nur unser Klassenkasanova Michael hatte so etwas natürlich nicht nötig und bekam allein die doppelte Anzahl von Bommeln wie seine drei Nächstplazierten zusammen. Trotzdem ich bei diesem internen Wettbewerb nicht mithalten konnte blieben diese Bommeln ein Lieblingssammelobjekt von mir,

 

So waren es auch seit damals nur Pudelmützen mit einer Bommel die einzigen Kopfbedeckungen die ich mir für kalte Tage anschaffte. Die Bommeln von der Wegscheide hatte ich schon lange verloren. Aber als ich 1977 in Norwegen war, fand ich dort in einem kleinen Handarbeitsgeschäft eine wunderschöne Pudelmütze mit einer traumhaft schönen Bommel, die ich unbedingt erstehen musste. Wer weiß schon welch kalte Tage noch auf einen zu kommen?


Ein Jahr später hatte ich meine zukünftige Ehefrau kennengelernt und da sie aus Hamburg stammte, zog ich auch sofort dort hin.


Es dauerte nicht lange bis wir uns über unsere weiteren Zukunftspläne weitestgehend einig wurden und so beschlossen wir beide das Wagnis einer weiteren Ehe einzugehen.


Zu einer Ehe gehört zwangsläufig auch eine Schwiegermutter, vor der man als Mann nicht selten einen gehörigen Respekt hat. Meine Schwiegermutter hatte zu dieser Zeit im Hamburger Stadtteil Tonndorf einen alteingesessenen Fischladen und war also das, was man hier eine Fischhökerin nennt. Sie war eine resolute Frau die sich kein X für ein U vormachen ließ und trug ihr Herz auf der Zunge.


Jedes Jahr in der Vorweihnachtszeit erweiterte sie ihr Geschäft und verkaufte vor Ihrem Laden und im Hof ihres Hauses Tannenbäume.


Es war ein einträgliches Geschäft, aber auch mit viel Arbeit verbunden

Auf der anderen Seite wird gerade in dieser Jahreszeit traditionell in Hamburg sehr viel Fisch gegessen und dadurch wird auch im Laden jede Hand dringend gebraucht.


Wir hatten am 1.Dezember geheiratet und ich hatte den ganzen Dezember über Urlaub. Eine Hochzeitsreise konnten wir uns aus finanziellen Gründen nicht erlauben, und so kam meine Schwiegermutter auf die Idee, ich könnte doch bei ihr Weihnachtsbäume verkaufen.


Es schien ein ausgezeichneter Gedanke zu sein. Denn erstens musste meine Frau auch arbeiten und wir konnten den nicht unerheblichen Nebenverdienst gut gebrauchen. Außerdem war meiner Schwiegermutter damit geholfen und "Mann" sollte sich ja mit seiner Schwiegermutter gut stellen.


Also zog ich an einem Sonnabendmorgen - so etwa zwei Wochen vor dem Heiligen Abend - meine wärmsten Wintersachen und die festesten Stiefel an und fuhr zum Fischladen nach Tonndorf. Als Kopfbedeckung trug ich zum Schutz vor der doch ziemlich beißenden Kälte - schließlich gab es damals ja noch richtige Winter - meine schöne Pudelmütze mit der großen Bommel daran auf.


Als ich derart ausstaffiert vor dem Laden meiner Schwiegermutter ankam betrachtete sie mich einen Moment durch die Schaufensterscheibe. Dann stürzte sie aus dem Laden, deutete mit ausgestrecktem Zeigefinger auf mich und erklärte allen Kunden und vorbei hasteten Passanten:

"Ha, ha, das ist der größte Trottel den ich je gesehen habe!"


Ich stand wie vom Donner gerührt da. Was hatte ich dieser Frau getan, dass sie mich einfach so beschimpfte? Musste ich mir das bieten lassen? Im ersten Moment war ich wie gelähmt und starrte sie wie blöde an. Mein Gesichtsausdruck hätte bestimmt für die Einweisung in eine Klappsmühle wegen offensichtlicher Idiotie gereicht, wenn gerade ein Arzt in der Nähe gewesen wäre.


Ich wollte sie schon anfahren was sie sich überhaupt einbildet und auf der Stelle kehrt machen und nach hause fahren als mein Schwager aus dem Laden kam und mir die Kasse mit dem Wechselgeld überreichte. Er hatte zwar im Laden nicht verstanden was seine Mutter zu mir gesagt hatte, merkte aber wohl an meinem Gesichtsausdruck das etwas nicht stimmte.

"Mach dir nichts draus," sagte er ohne zu wissen um was es eigentlich ging. "Mutter ist nun mal so, da kannst du nichts ändern.


Wortlos drehte ich mich um, ging durch den Hausflur in den Hof und trug ebenso wortlos die ersten Tannenbäume an meiner Schwiegermutter vorbei und stellte sie vor den Laden. Schließlich hatte ich meiner Frau versprochen mit ihrer Mutter nicht zu streiten, was in der Vergangenheit schon mal vorgekommen war weil wir beide wohl ziemliche Dickköpfe waren.

Trotzdem war ich stinksauer und würde meine Frau am Abend bitten, sie solle ihrer Mutter erklären, dass sie sich ab nächsten Morgen einen anderen Trottel suchen müsse.


Den ganzen Tag über sprach ich mit ihr kein Wort und ging ihr geflissentlich aus dem Weg. Das angebotene Mittagessen und diverse Getränke lehnte ich mürrisch mit einem Grunzen ab und versorgte mich aus dem benachbarten Imbiss mit dem Notwendigem.


Meine Pausen verbrachte ich nicht wie angeboten in ihrer Wohnung sondern setzte mich in die auf der gegenüberliegenden Straßenseite befindliche Kneipe "Tonndorfer Burg".


Zum Feierabend rechnete ich mit meinem Schwager ab und fuhr - immer noch stinksauer - nachhause.


"Na wie war dein erster Tag als Weihnachtsmann?" begrüßte mich meine Frau.

"Mein erster und mein letzter!" entgegnete ich ihr wütend. "Deine Mutter hat zu mir gesagt, ich sei der größte Trottel den sie je gesehen hat, und du glaubst doch nicht im Ernst, dass ich morgen wieder dort hin gehe!"

"Das kann ich mir gar nicht vorstellen. Sie hat zwar ihre Ecken und Kanten, aber das würde sie bestimmt nicht sagen. Oder hast du sie vorher gereizt?"

"Nichts habe ich. Gar nichts!" bellte ich sie an und ging ins Badezimmer um mich durch ein langes und heißes Bad aufzuwärmen. Als ich die Tür hinter mir zu machte, hörte ich noch wie im Wohnzimmer das Telefon läutete.


Ich hatte es mir gerade in der Wanne mit dem wohlig warmen Wasser gemütlich gemacht, als meine Frau lachend die Tür öffnete, meine Pudelmütze in der Hand hielt und fragte: "Hattest du diese Mütze heute auf?"

Ich nickte und sah sie fragend an.

"Ich glaube du bist wirklich ein Trottel, so wie du dich heute benommen hast:" lachte sie weiter, "Denn du hast wieder einmal nicht richtig hingehört. Und meine Mutter hat recht. Dies ist auch für mich der größte Troddel den ich je gesehen habe."

Und dabei deutete sie auf große Bommel an meiner Pudelmütze.


Es viel mir wie Schuppen von den Augen. Meine Schwiegermutter hatte den norddeutschen Troddel mit weichem "d" - und nicht den Trottel mit hartem "t" gemeint. Jetzt kam ich mir ganz schön dämlich - oder sollte ich besser sagen - trottelig vor.


Noch heute zucke ich unwillkürlich zusammen wenn in meiner Umgebung das Wort Troddel - oder vielleicht doch Trottel - fällt.

 

Ferdinand P. Martin