Die Ohrfeige

Erzählung von Ferdinand Martin

 

Mein Vater war eine sehr lange Zeit dagegen, dass bei uns zu hause ein Fernsehgerät angeschafft wurde. Erst viele Jahre nachdem fast alle Freunde und Bekannte ein solches Gerät besaßen konnte er sich nach langen Überlegungen dazu durchringen auch eines zu kaufen.

Meine Mutter ging deshalb in dieser Fernsehlosen Zeit gerne ins Kino, konnte meinen Vater aber fast nie dazu überreden, sie zu begleiten. Da sie sich aber ungern einen Film alleine ansah, nahm sie meist eins oder zwei von uns Kindern mit. Das bedeutete für uns immer eine gewisse Abwechslung vom tristen Alltag. Die Sonntags-Ausgehsachen wurden aus dem Schrank geholt und die kurzen Hosen, die kratzigen Wollpullover und ausgebesserte und angesetzte Hemden konnten für ein paar Stunden abgelegt werden.

Zwar liebte meine Mutter ein ganz anderes Genre von Filmen als ich, aber in der Not frisst der Teufel ja sprichwörtlich Fliegen und der eine oder andere Film war ja auch durchaus annehmbar. Aber Filme mit Cowboys und Indianer, Zorro oder Abenteuerfilme von Jules Verne waren da nicht drin.

Sie liebte Musikfilme, so mit Peter Alexander, Bibi John, Peter Kraus und ähnlichen Raketen des deutschen Schlagerhimmels. Sie liebte ja schließlich auch Musik.

Allerdings ist die Liebe zur Musik eine, die Fähigkeit zu musizieren oder zu singen aber eine andere Sache. Meiner Mutter jedenfalls geht hier jede Fähigkeit ab. Sie würde es fertig bringen den besten Chor der Welt aus dem Konzept zu bringen, sollte man es ihr erlauben dort mit zu singen. Früher war sie manchmal beleidigt wenn man ihr das sagte. Aber im Laufe der Zeit hat sie es wohl eingesehen und akzeptiert.

Aber jetzt bin ich wohl etwas vom Thema ab gekommen. Also zurück zu unseren Kinobesuchen. Die fanden meistens am Freitag statt. Denn an diesem Tag war immer Programmwechsel und meine Mutter wollte die neuen Filme immer so schnell wie möglich sehen. Manchmal war es sogar eine Uraufführung, für die es ihr gelang Karten zu bekommen. Diese Vorstellungen waren in sofern interessant weil dann meistens ein oder zwei der Hauptdarsteller und der Regisseur anwesend waren.

Ich erinnere mich an einen dieser Freitage an dem die Wahl des Begleiters wieder einmal auf mich gefallen war. Es gab einen Film mit Heidi Brühl, in die ich sogar heftig verknallt war. Nicht wegen ihrer Singerei – das war nicht meine Musik – sondern weil verdammt gut aussah. Fand ich zumindest. Zur Freude meiner Mutter sollte sie an diesem Abend im Kino sogar noch singen.

Wir machten uns also rechtzeitig zum Zeil-Filmpalast, auf der bekannten Frankfurter Einkaufsstraße, auf den Weg um ja nicht den Auftritt der Stars zu versäumen.

Meine Mutter hatte Platzkarten für die siebte Reihe ergattert und als nach Kulturfilm und der „Fox tönenden Wochenschau“ wieder das Licht im Saal langsam an ging waren wir gespannt was nun kommen sollte.

Zunächst wurde der Regisseur und ein weiterer Schauspieler vor den jetzt wieder geschlossenen Vorhang geholt und vorgestellt. Und dann kam als Hauptdarstellerin die Schauspielerin und Sängerin Heidi Brühl. Sie sah sehr hübsch aus in ihrem roten Sommerkleid, dass ich später als das gleiche identifizierte, dass sie auch im Film trug. Und nachdem auch sie vorgestellt worden war begann sie ein Lied aus dem Film zu singen.

Stille machte sich im Raum breit als die ersten Töne vom Band kamen und Heidi Brühl zu singen begann: „Ich weiß genau es gibt ihn irgendwo, den Mann meiner Träume.....“

Ich weiß nicht welcher Teufel mich ritt, aber plötzlich hörte ich mich laut rufen:

Ja hier!“

Die Reaktion war überwältigend. Heidi Brühl kam aus dem Takt, verhedderte sich im Text und fing an zu kichern.

Gleichzeitig fingen einige Zuschauer an zu lachen, andere fielen ein. Bis schließlich der ganze Saal lachte.

Bis auf meine Mutter und mich. Denn die hatte mir eine laut klatschende Ohrfeige verpasst. Und zwar mit einer Geschwindigkeit, die ich ihr gar nicht zugetraut hätte.

Langsam verstummten alle und starrten uns an. Und wir beiden saßen mit hochroten Köpfen da. Meine Mutter hatte einen roten Kopf weil uns alle an starrten, und ich von der Ohrfeigen, von der man wie es so schön heißt, alle fünf Finger sah.

Am schnellsten fing sich dann Heidi Brühl wieder, Sie gab dem Tontechniker, der in der Zwischenzeit das Band zurück gefahren hatte, ein Zeichen und begann das Lied noch einmal von vorne. Diesmal brachte sie es ungestört zu Ende und bekam den verdienten Applaus.

 

Ich dagegen bekam auf dem Heimweg noch eine Menge bittere Vorwürfe zu hören. Allerdings machten sie mir gar nichts aus. Denn fest an mich gedrückt trug ich unter meinem Pullover ein Autogramm von Heidi Brühl. Das hatte ich mir unbemerkt von meiner Mutter – ich hatte nach Ende der Vorstellung gesagt, dass ich mal zur Toilette müsse – besorgt. Und dabei hatte mich Heidi Brühl sanft über die Haare gestreichelt. Ich war selig.

 

Vielleicht liegt es an jenem Kinobesuch, dass ich heute nur noch sehr selten ins Kino gehe. Und wenn dann doch einmal, schaue ich mir vorher genau an wer links und rechts neben m mir sitzt, damit ich keine unerwarteten Ohrfeigen einfange.

Oder ich bin einfach zu bequem geworden und sitze lieber vor dem Fernseher, den ich jetzt ja habe.