Heimkino oder John Wayne von hinten

Ein altes Sprichwort lautet: „was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmer mehr.“ Das wollte ich aber für mich nicht gelten lassen. Schließlich heiße ich ja auch nicht Hans.

Mein Vater wollte immer das ich zumindest die „Mittlere Reife“ mache und anschließend auf dem Polytechnikum in Friedberg meinen – wie er es zu sagen pflegte – Ingenieur oder wenigstens Techniker „baue“.

 

Aber dem stand stand während meiner Schulzeit mein ausgeprägter Spieltrieb und meine unendlich große Faulheit entgegen. Nicht das mir das geistige Rüstzeug dazu gefehlt hätte. Nein, ich war einfach zu faul etwas zu lernen. Ein Versuch, nach vier Jahren Volksschule in die Mittelschule zu wechseln, wurde nach einem Jahr aus eben diesen Grund beendet.

 

Erst Jahre später, nach abgeschlossener Lehre als Feinmechaniker, absolviertem Militärdienst und frischgebackenem Ehemann kam ich auf den Trichter, dass ich etwas mehr aus meinem Berufsleben machen könnte. So entschloss ich mich im Fernstudium Maschinenbau bis zum Techniker zu studieren.

 

Warum also einfach, wenn es auch umständlich geht.

 

Wir wohnten damals in einem Hinterhofhaus in Frankfurt – Höchst, in dessen Vorderhaus meine Schwiegereltern lebten. Meine Frau arbeitete als Sekretären bei den Farbwerken und ich war nach meiner Zeit bei der Luftwaffe als Flugzeugmechaniker am Frankfurter Flughafen tätig.

 

Dort hatte ich immer drei Wochen Nachtschicht und dann eine Woche am Tag zu arbeiten. Da ich aber nicht vor hatte dies mein Leben lang zu tun entschloss ich mich also zum Studium. Die Arbeitszeiten waren hierzu hervorragend geeignet, denn wenn ich mittags – nach Nachtschicht und Schlaf – aufwachte konnte ich den ganzen Nachmittag ungestört lernen bis meine Frau von der Arbeit kam und ich abends wieder zum Dienst musste.

 

Nun ganz so ungestört war das Lernen und Arbeiten nun doch nicht. Dieses Hinterhaus war nämlich ein ganz besonderes Haus.

 

Eigentlich war es sogar kein richtiges Haus sondern nur ein Anbau an die Rückwand eines Kinotheaters in der Seitenstraße. Ursprünglich war es wohl nur das Treppenhaus zum Bühnenhaus des Theaters gewesen. Und außer unserer kleinen Wohnung von etwa 35 Quadratmeter in der zweiten Etage befanden sich keine weiteren Räume in dem Gebäude. Und hinter der Wand an der mein Arbeits- und Zeichentisch stand befand sich die Leinwand und die Lautsprecheranlage des Kinos.

 

Natürlich war die Wand nicht gerade besonders dick und von Schallisolierung konnte keine Rede sein. So war es denn auch unvermeidlich jedes einzelne Wort, jedes Geräusch und jede Musik aus dem Kino nebenan deutlich zu hören und zu verstehen. Genau so, als sei Heinz Rühmann oder John Wayne gerade bei uns zu Besuch.

 

Am Anfang war es für mich immer sehr schwierig dort zu arbeiten da ich durch die Dialoge der Schauspieler von meiner Arbeit abgelenkt wurde. Denn automatisch horchte man stets ungewollt hin und ich stellte mir dabei vor was gerade auf der Leinwand zu sehen war. Das brachte mich dann doch ziemlich aus dem Konzept und verhinderte einen Fortschritt im Lehrstoff

 

Aber nach ziemlich kurzer Zeit fand ich den idealen Weg der es mir ermöglichte mich nicht mehr ablenken zu lassen.

 

Ich schaute mir einfach jeden neuen Film ein- oder zweimal im Kino an und wusste dadurch jederzeit was drüben auf der Leinwand geschah wenn ich die entsprechen Musik oder Textstelle hörte.

 

Am liebsten waren mir daher Filme die über mehrere Wochen liefen, denn dann brauchte ich nicht so oft umzulernen.

 

Finanziell waren die häufigen Kinobesuche kein Problem für mich den an der Kinokasse saß Tante Luise, die Schwester meines Schwiegervaters. Und bei ihr genügte es wenn ich alle paar Wochen eine Schachtel Pralinen – mit Weinbrand – über den Kassentisch schob. Damit konnte ich mir alle Filme so oft ich wollte ansehen.

 

Tante Luise war es auch die uns – oder besser gesagt mir – die Wohnung besorgt hatte.. denn mein Frau schlief nur am Wochenende und in den Nächten in denen ich keinen Nachtdienst hatte dort. Wenn ich nachts auf dem Flughafen war zog sie es vor in ihrem Mädchenzimmer in der elterlichen Wohnung im Vorderhaus zu schlafen.

 

Das konnte ich auch verstehen. Denn welche junge Frau möchte wohl jede Nacht mit Peter Alexander, Theo Lingen oder Grete Weiser verbringen? Oder gar mit King Kong, Gorzilla, Frankenstein oder Dr. Marbuse.

 

Später, als wir noch während meines Studiums nach Sindlingen zogen und ich dort ein eigenes Arbeitszimmer hatte, störte mich fast die dort herrschende Stille. Ich brauchte zunächst eine gewisse Zeit mich daran zu gewöhnen.

 

Nur einmal noch fiel ich in alte Gewohnheiten zurück. Als ich nach dreijährigem Studium für die externe Prüfung an der Staatlichen Technikerschule nach Weilburg fuhr ging ich jeden Abend in eines der dortigen Kinos oder fuhr mit meinem 2CV ins nahe gelegene Gießen um mir dort um mir irgend einen bekannten Film anzusehen. Damit habe ich mich auf die jeweiligen Prüfungen am nächsten Tag „vorbereitet“.

 

Ein anderer der sechs angereisten externen Kandidaten besuchte jeden Abend eine der Weilburger Kneipen die er nicht vor Beginn der Polizeistunde und in reichlich alkoholisiertem Zustand verließ. Er wollte die Prüfung überhaupt nicht bestehen sondern war nur auf Anordnung seines Vaters dort, dessen Maschinenbaufirma er später übernehmen sollte.

 

Unsere vier Mitkandidaten die jeden Abend in ihren Zimmern hockten und wie verrückt büffelten, prophezeiten uns beiden, dass wir nie bestehen würden.. Pikanterweise waren wir zwei die einzigen die auf Anhieb bestanden.

 

Der eine, weil er es überhaupt nicht wollte und der andere weil er mit John Wayne, Theo Lingen und Heinz Rühmann hervorragende Helfer hatte

 

Ferdinand Martin